„Wer Indien im selben Zustand verlässt, wie er es betreten hat, kam schon vorher als Leiche. Denn die Radikalität des Subkontinents ist sein Trumpf. Ein Reisender, der sich traut läuft Gefahr, als ein anderer wieder abzureisen.“ aus „Triffst du Buddha, töte ihn“ von Andreas Altmann.
Am 5. Oktober 2009 sind wir aufgebrochen nach Indien, eine uns vertraute und doch so geheimnisvolle Welt. Es war ein wunderbarer Herbsttag. Auf den Elbwiesen waren wir Drachensteigen. Unsere Tochter Katja hatte gerade ihr Physikum bestanden, zog zusammen mit ihren Wadim. Auf dem Bahnsteig servierten uns Netti und Dixi, gestandene Indienfans, heißen Tschai aus der Thermoskanne und es gab dicke Tränen zur Verabschiedung. Mir ist, als war es gestern, so nah scheint die Erinnerung. Dazwischen liegen nun drei lange Jahre.
Die Zeit ist nicht wie im Fluge vergangen. Unser Indien hat sich in den letzten 20 Jahren seitdem wir es als Touristen durchstreiften nicht wesentlich verändert und das wird in den kommenden 100 Jahren sicher auch so bleiben. Zwar gibt es dann anstatt der 1,2 Milliarden mehr als doppelt so viele Menschen, wird sich die Zahl der streunenden Hunde und verwahrlosten Kühe verzehnfacht haben, die Fußgänger werden sich nur noch springend zwischen den immer schneller werdenden Blechkarossen bewegen und aufpassen dass sie nicht auf einen der zahlreichen Kackhaufen landen. Die Hare Krishnas werden wie eh und je selig einfältig ihr Segensmantra Hare Krishna/ Hare Ram zwitschern, umso die Erleuchtung zu erlangen und den Weltfrieden herbei singen. Das Beharrungsvermögen der Inder ist unglaublich Unendlich, so wie auch ihre Geduld. Zeit hat in diesem riesigen Land eine andere Dimension.
Wir sind nicht nach Indien gereist um zu faulenzen, wollten nicht fliehen, um in der Ferne unser Glück zu suchen. Wir sind auch nicht auf der Suche nach einem Guru oder Heiligen, der uns erleuchtet. Vielleicht wollten wir dem Alltag ein wenig entrücken, die Zeit für einen Augenblick anhalten, Inne halten, etwas Neues beginnen, die Welt verändern und dabei Gutes bewirken. Und, wir wollten es dem Zufall unserer Intuition überlassen. Was für eine souveräne Missachtung aller Regeln eines gesunden Menschenverstandes. Dieser Zufall hat uns nach Vishwaneedam – Wo das Universum wächst – in den Dschungel von Orissa verführt, ins buddhistische Ladakh ganz in den Norden Indiens, an zahlreiche Plätze Asiens und bis nach Tansania in die Usambaraberge. In Nepal haben wir den Anapurnatreck gewagt, in Neuseeland zelebrierten wir an den heißen Quellen von …. unsere Silberhochzeit, in Sarawak in Malaysia sahen wir den Gorillas bei der Wildfütterung zu und schließlich am Mainbasar in New Delhi beobachteten wir das gewöhnliche Treiben Indiens.
“Happiness only real when shared- Wirkliches Glück ist, wenn man es teilt“, zu dieser Erkenntnis kam Chris, alias Alexander Supertramp, schon in „Into the Wild“ während seiner dramatischen Irrfahrt mach Alaska. Der Kontakt nach Hause, nicht nur zur Familie, war uns immer sehr wichtig. Da ich von Facebook & Co nicht allzu viel halte, war ich überglücklich, als mir Thomas Mielke von der Sächsischen Zeitung das Angebot für eine monatliche Berichterstattung unterbreitete. Das Notebook wurde so mein ständiger Begleiter und ich begab mich auf die Suche nach dem Alltagsleben, nach Normalität. Durch das Schreiben hat sich unser Blick fürs Detail geschärft. So entstand im Mai letzten Jahres der Eismann Artikel, jenem Verrückten der mit seinem Fahrrad durch die Dörfer radelt, um geschmolzenes Eis zu verkaufen, interviewte ich den Mönch Sangasena in Leh, berichtete über die Hochzeit von Anus Bruder, schilderte die dramatische Situation nach der Jahrhundertflut in Ladakh und über den Ausnahmezustand nach der gewonnenen Cricketweltmeisterschaft. Insgesamt veröffentlichte die SZ 18 Beiträge (alle auch auf www.gaiatreeschool.org) .
Wir hatten auch zahlreiche Besuche aus der Heimat. Natürlich Katja und Wadim, die in Südindien ein Krankenhauspraktikum absolvierten. Von der Schkola Ute und Kamil, Annett, Kristin, Anna und Tina zum Praktikum. Unsere Hausmitbewohner Ralf und Ilona, Yoga - Jens und Gerhard aus München. Nicht zu vergessen Sabine, Franzi und Cindy unsere Freiwilligen. Und es gab zufällige Treffen mit Dirk Randoll von der Software AG Stiftung und Stephan Meyer vom Sächsischen Landtag. Unerwähnt bleiben die noch offenen Willensbekundungen. Niemand kann sagen, dass wir uns davon geschlichen haben.
Das Experiment ist geglückt. Wir sind gesund und zufrieden wieder nach Deutschland zurück gekehrt. Zwar haben wir die Welt nicht wesentlich verbessert doch wir haben lachende und glückliche Kinder gesehen, Hoffnung in den Augen der Eltern in unserer kleinen Gaiatreeschool, haben vielleicht Anstöße zum nach- und umdenken gegeben und ein wenig rütteln können. Die Welt ist für uns ein Stück zusammen gerückt. Heimat ist mehr relativ und zum Synonym für Freundschaft und Freiheit geworden. Für uns haben wir die Erkenntnis gewonnen, dass wir nicht alles Wissen. Wir sind ein Stück reicher, glücklicher und zufriedener geworden. Die Sehnsucht ist geblieben. Der Berg an Fragen gewachsen, der Unmut über die Ungerechtigkeit in der Welt hat sich verstärkt.
Anke ist nun schon seit zwei Monaten wieder als Lehrer am Gymmi in Löbau tätig. Für mich ist es ein Monat her, dass ich Leh den Rücken gekehrt habe. Wir sind Beide noch nicht angekommen. Nach drei Jahren bleibt ein beklemmendes Gefühl, ohne bisheriges Rückflugticket.